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Alt 21.09.2004, 03:55   #32
Kuddel
Berlin
 
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Daumen runter

Was hier teilweise über die "faulen Ostdeutschen" geschrieben wird ist wirklich eine Frechheit. Ich komme ursprünglich aus MVP (Nähe Stettin / polnische Grenze) und bin froh, dass meine Eltern und Angehörige diesen Quatsch nicht lesen müssen.

Hier mal eine Zusammenfassung der besten Entgleisungen:

--------------------Lefaux:
Das heißt NICHT (!!), dass ich was gegen den Osten habe, nur war die ganze Aktion einfach zu teuer, bzw. wird immer teurer.
Und was im Moment fehlt, sind Leute, die was machen.
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Klar war die Aktion teuer. Am meisten hat es die Leute im Osten gekostet, das vergessen leider die meisten. Es gab übrigens nach der Wende genug Leute die etwas machen und vorhandene Strukturen nutzen wollten. Leider ging das nicht so wie sie wollten. Während an Investoren aus den alten Bundesländern komplette Firmen für den symbolischen Wert von 1,-DM verkauft wurden war es komischer Weise für Ostdeutsche die was planten nicht möglich, obwohl die teilweise bereit waren richtig Geld zu zahlen / investieren. Wie das dann meistens lief sollte wohl jedem bekannt sein. Subventionsgelder wurden abgeschöpft, Betriebe geschlossen, fertig. Ich kenne viele solcher Fälle, die sehr bekannten wie zum Beispiel Werften etc. sind nur die Spitze des Eisberges. Es gibt genug Leute die sich am Osten gesund gestoßen haben. Billig Land kaufen, viele viele Gebrauchtwagen (die im Westen keiner mehr wollte), technische Geräte, Klamotten etc. Letzten Endes hat sich doch jeder Ostler mehr oder weniger neu eingerichtet. Daran verdient hat man sicherlich nicht im Osten.

----------------------Tim72:
Es ist erschreckend, daß es so viele Menschen gibt, die sich vom Staat pampern lassen und zumutbare Jobs ablehnen. Wie gesagt, von nix kommt nix. Es muß ja nicht jeder 12 Stunden oder mehr arbeiten, aber "Nein" sagen und sich dabei auch noch im Recht fühlen (so nach dem Motto: Der Staat muß ja für mich aufkommen) ist doch die Mentalität, die ein Land vor die Hunde gehen läßt. Man kann nicht erwarten mit der selben Einstellung, mit der der Sozialismus vor die Wand gefahren ist in der Bundesrepublik weiterzumachen. Die Erkenntnis scheint sich in Ostdeutschland noch nicht durchgesetzt zu haben.
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Was glaubst du eigentlich über die Einstellung der Leute im Osten zu wissen. Meinst du der Sozialismus ist vor die Wand gefahren, weil die Leute alle zu faul zum Arbeiten waren. Was unterstellst du den Leuten da eigentlich.

-----------------------Tim72:
Und wenn eine Region nicht mithalten kann in Sachen Produktivität, Qualität, etc., dann muß sie billiger werden, auch in der Entlohnung von Arbeit.
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Klar, wie billig willst du es denn haben? Beim Wachschutz bekommt man in der Region aus der dich komme 4 Euro pro Stunde. Dafür gehst du dann natürlich auch Nachts und am Wochenende arbeiten. Ein Friseur bekommt nachdem er ausgelernt hat 500 Euro ausbezahlt. Wenn du dann 250 Euro Miete zahlst, dazu 100 Euro für Strom und Telefon, dann bleiben dir für Essen, Klamotten, Auto bzw. öffentliche Verkehrsmittel und alles andere noch 150 Euro. Na wenn das keine Perspektive für junge Leute ist. Da könnte man wirklich noch ein wenig kürzen.

----------------------Lefaux:
Ein anderes Problem ist glaube ich, dass sich Menschen aus dem Osten nur sehr schwer daran gewöhnen, frei zu entscheiden.
Freunde von mir sind im Osten groß geworden und haben die öffnung der Grenze mit 25 mitgemacht.
Die haben nach wie vor das Gefühl, beobachtet zu werden und nehmen auch grundsätzlich das erste vom Staat, was ihnen angeboten wird.
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und dann noch:
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Und DAS denke ich, wird ein Problem sein, welches uns noch mindestens so lange begleiten wird, bis die Menschen, die die alte DDR noch live miterlebt haben, ausgestorben sind.
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Was für ein Quatsch. Die Leute haben sehr schnell entscheiden gelernt und analysieren jede Möglichkeit 3 mal, damit sie irgendwie über den nächsten Monat kommen.
Meine Mutter hat sich mit 49 noch selbstständig gemacht, weil sich einfach keine andere Möglichkeit bietet. Sie ist kein Einzelfall und kämpft wie viele jeden Monat damit sie überhaupt bei +/- Null rauskommt. Was willst du auch anbieten, es gibt niemanden der irgendwelche zusätzlichen Dienstleistungen in Anspruch nimmt, weil die Leute z.B. in MVP einfach kein Geld haben. Das zieht sich durch alle Bereiche.
Unsere Nachbarn sind weit über 50 und quälen, nachdem sie 35 Jahre lang gearbeitet haben, sich irgendwie über die Runden. Wenn denen morgen das alte Dach vom Haus fliegt könnten sie die Hütte nicht mal reparieren. Bei anderen Nachbarn hat der eine gerade die Kündigung bekommen, der andere Teil ist selbstständig und jeden Monat am hoffen, dass das Geschäft für Kind und Ehepartner noch genug abwirft. Kannst du dir überhaupt vorstellen was das für Existenzängste sind. 30 Jahre oder länger die Kohle zum Beispiel ins eigene Haus gesteckt, vielleicht auch noch Kredit drauf, und dann wird es versteigert, in einer Region in der du wahrscheinlich gerade mal den Preis für das Land bekommst auf dem es steht?
Das betrifft natürlich nicht nur die selbstständigen. Frag mal jemanden der 50 ist, beim BGS arbeitet und später mal 800 Euro (wirklich sagenhaft 1600 DM) weniger Rente bekommt als seine Kollegen im Westen. Dummer Weise sind die 20 Jahre die er in der DDR gearbeitet hat nichts mehr Wert. Zusätzlich ist er dadurch erst in hohem alter in die private Krankenversicherung eingestiegen (muß man beim BGS) und zahlt später bzw. schon jetzt das drei bis 5 fache an Krankenversicherung. Da bleibt später rein rechnerisch eine Mindestrente. Nächstes Beispiel, allein erziehende Mutter, 2 Kinder, seit langem auf Arbeitssuche. Was glaubst du kann die ihren Kindern noch bieten. Was wenn die beiden in ein paar Jahren studieren wollen. Mir fällt noch die Familie ein wo er auf Montage die ganze Woche quer durch Deutschland fährt weil die Firma im Umkreis keine Aufträge mehr hat. Die Kinder freuen sich Papa alle 2 Wochen zu sehen, die Fahr- und Hotelkosten fressen das bißchen Auslöse wieder auf.
Das alles sind übrigens nur ein paar Beispiele aus meiner näheren Umgebung.
Es mag sicherlich ein paar geben die keine Lust haben, das sind aber wohl die wenigsten und die gibt es überall (egal ob West, Nord Süd oder Ost). Für alle anderen und vor allem die vielen die 1990 im meist gehobenen Alter noch mal bei Null angefangen haben, nicht die gleichen Chancen hatten und es jeden Tag aufs neue versuchen sind die Beiträge so mancher hier echt beleidigend. Es können ja schließlich auch nicht alle Ostdeutschen nach Frankfurt und München auswandern (von der Jugend bleibt ja sowieso kaum jemand dort).
Jetzt darfst du gerne noch mal fragen warum Leute auf die Straße gehen und sagen so geht es nicht weiter.

Um aufs eigentliche Thema zurück zu kommen. Ihr solltet mal schauen wer die rechten wirklich gewählt hat. Jeder 2. Erstwähler und vor allem Leute unter 30 Jahren. Zumindest die Erstwähler habe ja wohl von der DDR nichts mehr mitbekommen........ und genau deswegen macht mir ihr Verhalten um so mehr Sorgen. Es ist scheinbar kein Problem der Ostdeutschen in dem Sinne sondern vielmehr eines der vor allem jungen Menschen die dort leben.

Ich möchte klar stellen das ich den Wahlerfolg der Rechten als Katastrophe empfinde. Im Gegensatz zu manch anderem mache ich mir aber Gedanken darüber wie verzweifelt, verängstigt bzw. perspektivlos man sein muß, um als normal denkender Mensch sein Kreuz an dieser Stelle zu machen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass in Sachsen jeder 10te rechtsradikal eingestellt ist. Wenn ich aber die Politiker höre, die den Erfolg der NPD inzwischen darauf schieben, dass das Verfassungsgericht sie nicht verboten hat, dann scheint man das Signal nicht verstanden zu haben. Wenn man den Leuten nun auch noch Faulheit und Mitnehmermentalität vorwirft, dann treibt man sie den Braunen ja förmlich in die Arme.
Die Leute fühlen sich von Politikern nicht nur nicht verstanden, sondern es kommt ihnen vor als wenn man ihre Einwände und Proteste total ignoriert. Sollten die Parteien nicht lernen sich um ihre Wähler zu kümmern, damit meine ich ordentliche Basisarbeit und Nähe zum Bürger, dann werden es Randgruppen gerade in strukturschwachen Regionen weiterhin leicht haben Leute für sich zu gewinnen.

Um das Bild abzurunden, mir ging es zumindest bisher finanziell nie wirklich schlecht. Ich habe aber nicht vergessen woher ich komme. Leuten mit Erfolg fällt es immer einfach anderen irgendwelche klugen Tips zu geben. Nur wer selbst mal tief in der Klemme gesteckt hat kann das was die Leute denken wirklich nachvollziehen. Alle anderen sollten es zumindest mal versuchen.

Andre

@ Moderatoren: Ihr hättet meiner Meinung nach das Topic löschen sollen...... es gehört, egal wie ot, einfach nicht in ein forum übers kitesurfen....... leider konnnte ich mir, nachdem was ich hier gelesen habe, meinen sehr langen Beitrag nicht verkneifen
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